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Ritter-Sport-Chef Andreas Ronken wegen Russlandgeschäft in der Kritik

Herr Ronken, welche Schokosorte essen Sie am liebsten?

Vegane Vollnuss. Ich war lang Veganer, und die Sorte ist wirklich lecker. Die habe ich selbst entwickelt. Crunchy, gleichzeitig geschmeidig, weil Haselnusspaste drin ist.

Bei Ritter Sport entwickelt der Chef die Sorten selbst?

Natürlich nicht jede. Aber ich habe eine kleine Schokoladenwerkstatt zu Hause und probiere viel aus. Aktuell habe ich leider nicht mehr so viel Zeit dafür, weil unsere Zwillingsmädchen gerade drei Jahre alt sind.

Die finden Papas Job bestimmt super.

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Na klar, die sind auch oft hier.

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Ihre bunte Schokowelt hatte nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit sehr ernsten Themen zu tun. Sie sind wegen Ihrer Entscheidung, weiter nach Russland zu liefern, in einen Shitstorm geraten. „Quadratisch, praktisch, Blut“, dichtete der damalige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, und „Ritter Mord“. Wie schauen Sie heute auf die Vorwürfe?

Unsere Entscheidung war richtig, und ich würde sie wieder genauso treffen. Dieser Fall zeigt das Dilemma zwischen Haltung und Verantwortung. Russland ist unser zweitgrößter Markt. Wenn wir da rausgegangen wären, hätten wir 200 Leute am Standort Waldenbuch freistellen müssen. Wir hätten auch weniger Kakao gekauft, was wiederum unsere Kakaobauern getroffen hätte. Wir haben uns damals entschieden, das Geschäft in Russland weiterzuführen, die Gewinne aber zugunsten der Ukraine zu spenden, 2023 knapp eine Million Euro. Das machen wir immer noch so. Und wir sehen jetzt in Russland, dass es Produkte deutscher Firmen, die keine Geschäfte mehr mit Putins Regime machen wollen, weiter zu kaufen gibt …

… Goldbären von Haribo, zum Beispiel, manche Biermarken und Milchprodukte.

Das wird alles über den Graumarkt umgangen. Und glauben Sie mir: Dieser Krieg wird nicht über Nahrungsmittelrestriktionen gewonnen.

Besprechen Sie diese Themen mit der Eignerfamilie Ritter?

Die Familie hat der Umgang mit unserem Russlandgeschäft emotional enorm betroffen. Wir haben intensiv darüber diskutiert. Ich bin seit 2005 im Unternehmen, wir kennen uns also sehr gut. Ich habe mit Alfred Ritter acht Jahre lang zusammen das Unternehmen geführt. Wir vertrauen einander, das ist gerade in solchen Situationen wertvoll.

Sie haben persönlich Drohungen, sogar Morddrohungen erhalten …

… und ich würde wieder so entscheiden. Diese Erfahrungen haben uns eher bestärkt. Sie kennen die Mechanismen von Social Media: Wenn einer am Boden liegt, dann haut man noch mal drauf. Man muss das Spiel sportlich sehen, obwohl ich mir sehr wünschen würde, dass wir als Gesellschaft wieder wegkommen von Social-Media-Hetze.

Heutzutage ist eben auch Schokolade politisch.

Wir können uns als Mittelständler definitiv nicht mehr unpolitisch aus allem raushalten. Ritter Sport ist eine große Marke, deswegen war die Aufregung so groß. Wir tragen Verantwortung, wollen Haltung zeigen, da eckt man an. Unser Produkt ist außerdem extrem emotional. Wir haben die Aufmerksamkeit genutzt, darauf hinzuweisen, dass auch russische Kinder gern Schokolade essen. Diese Entrüstung ist ja irgendwie auch typisch deutsch.

Daraus hat sich eine Debatte über Verantwortungsethik versus Gesinnungsethik in Unternehmen entwickelt. Finden Sie diese Diskussion heuchlerisch?

Generell finde ich die Debatte gut, weil wir sicherlich künftig häufiger vor diesem Dilemma stehen werden. Das gleiche Thema haben wir vielleicht bald mit China. Ich glaube, Firmen müssen sich im Vorfeld überlegen, wie sie sich bestimmten Märkten gegenüber verhalten. Wir können nicht nur Länder beliefern, die sich zu hundert Prozent unserer Moral entsprechend verhalten. Dann bleiben ja nur noch Südschweden und Dänemark.

Und die Schweiz.

In jedem Fall zu wenige.

Geopolitik ist jedenfalls voll im deutschen Mittelstand angekommen …

… mit Problemen, von denen früher nur Player von der Größenordnung Siemens betroffen waren. Wir müssen ja auch nicht alle einer Meinung sein, aber wir müssen eine haben. In dem Zusammenhang würde ich mir wünschen, dass es wieder mehr Qualitätsjournalismus gibt, der auch seinen Preis kosten darf. Und weniger steile Zeilen in sozialen Netzwerken. Dass es mehr Diskussionen in Deutschland gibt und wir einander wieder zuhören, statt uns nur zu entrüsten.

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Wenn wir gerade bei Wünschen sind: Was wünschen Sie sich als Mittelständler von der deutschen Politik?

Oh je, da habe ich eine ganze Liste. Ich glaube aber gar nicht, dass es nur mit dieser Regierung zu tun hat. Gefühlt funktioniert gar nichts mehr, wir haben eine überbordende Bürokratie, Pflegepersonal wird nicht richtig bezahlt, Kinderbetreuung fehlt, das erlebe ich auch am eigenen Leib. Die Schulen werden immer schlechter ausgestattet. Der Fachkräftemangel ist selbst gemacht. Unsere guten Ausbildungsberufe will keiner mehr lernen, Hochqualifizierte wandern nicht ein. Für die Energiewende sind wir zu blöd, zumindest machen wir sie einfach nicht. Digitalisierung bekommen wir auch nicht hin. Das ist jetzt oldschool, aber früher hat man weniger geschnackt und einfach gemacht. Wir hängen an alten Sachen, die mal ein Erfolgsmodell waren, es aber nicht mehr sind.

Klingt pessimistisch.

Dabei bin ich eigentlich ein Optimist! Ich glaube aber, dass es uns immer noch nicht schlecht genug geht, sonst würden wir nicht auch noch die Vier-Tage-Woche und Homeoffice für alle diskutieren. Die Bevölkerung muss aufwachen, nicht nur die Politik. Wir brauchen offensichtlich erst einen Wohlstandsverlust, bevor wir diesen Riesenreformstau angehen. Wie bei der deutschen Nationalmannschaft: Alles bleibt beim alten Muster, bis man so richtig auf die Schnauze fällt.

Zumindest mit der Nationalmannschaft ging es in jüngster Zeit wieder bergauf.

Da haben Sie recht, das wird ein Sommermärchen!

Sie haben in Amerika studiert und beim US-Unternehmen Mars gearbeitet. Was haben Sie dort gelernt?

Selbstständigkeit und Unternehmertum. Vieles ist dort immer noch viel einfacher. Ich investiere seit 20 Jahren in Start-ups und sehe, dass es in Deutschland schwieriger ist, an Geld zu kommen. Die Unternehmenskultur ist anders. In den USA ist es kein Problem, fünf Mal in die Insolvenz zu gehen – wenn es beim sechsten Mal funktioniert, bist du trotzdem der Star. Hier bist du ab der ersten Pleite ein Loser. Ich sehe natürlich auch die negativen Seiten: Altersarmut, fehlende Krankenversicherung. Dafür übernehmen die Menschen mehr gesellschaftliche Verantwortung, kümmern sich umeinander, spenden viel.

Ritter Sport will in den USA und China wachsen. Wie baut man in neuen Märkten ein Image auf?

Das ist nicht einfach, Lebensmittel aus Deutschland haben, anders als Maschinenbau und Autos, keinen guten Ruf. Fragen Sie mal einen Italiener oder Franzosen, wie er deutsche Schokolade findet! Man muss mit der richtigen Markteintrittsstrategie kommen. In den USA klappt das ganz gut. Viele ehemalige Soldaten, die in Deutschland stationiert waren, kennen die Marke. In China wiederum muss die Ansprache ganz anders sein. Dort ist die Umverpackung ein riesiges Thema, Schokolade wird oft verschenkt. Vieles ist Trialand-Error. Ein Thema ist auch unser Name, der nicht immer hilft. Wir haben beschlossen, den überall auf Deutsch zu belassen. Das ist unser Markenname, aber in England, zum Beispiel, gab es am Anfang schon Verwunderung, was das jetzt mit Sport zu tun hat. Seit einigen Jahren sind wir dort aber recht erfolgreich.

Und, was hat die Marke mit Sport zu tun?

Früher war hier neben der ersten Schokoladenfabrik ein Fußballplatz. Clara Ritter beobachtete, dass die Langtafeln nicht in die Taschen der Sportjacketts passten und erfand 1932 die quadratische Schokolade.

Eine geniale Marketingidee.

Von der wir bis heute profitieren.

Welche Sorte funktioniert überall auf der Welt?

Vollnuss ist unsere meistverkaufte Tafel.

Schokolade ist wegen der Inflation und steigender Rohstoffpreise sehr viel teurer geworden. Kaufen die Menschen in Kriegs- und Krisenzeiten mehr oder weniger Schokolade.

Unser Produkt ist konjunkturunabhängig. Es ist der kleine Alltagsluxus, den sich die Leute gönnen, wenn sie zum Beispiel beim Urlaub Abstriche machen müssen.

Ritter Sport bewirtschaftet seit gut zehn Jahren eine eigene Kakaoplantage in Nicaragua. Sind Sie unter die Bauern gegangen, um von den internationalen Kakaopreisen unabhängig zu werden?

Bislang decken wir mit der Plantage drei bis fünf Prozent unseres Bedarfs an Kakaomasse. Aber das war auch nicht der Hauptgrund für die Gründung von „El Cacao“. Wir wollten beweisen, dass sich Kakao nachhaltig und sozial fair anbauen lässt. Dass die Menschen, die dort arbeiten, krankenversichert sind, ein Auskommen haben und ihre Kinder zur Schule gehen. Das haben wir geschafft.

Es ging Ihnen also um soziale Aspekte?

Genau. Kakao wird ja vor allem in politisch heiklen Ländern angebaut. Unser Anspruch ist, die beste Schokolade der Welt zu machen. Dazu brauchen wir die besten Rohstoffe. Jeder Winzer hat ja auch eigene Weinberge. Wir wissen, wo unser Kakao herkommt. Ich bin ein großer Verfechter des Lieferkettengesetzes. Und es wird vielen Konsumenten wichtiger zu wissen, unter welchen Bedingungen ihre Lebensmittel produziert werden – auch wenn die Geiz-ist-geil-Mentalität in Deutschland noch ziemlich weit verbreitet ist. Wir haben durch „El Cacao“ aber auch gelernt, wie sehr der Klimawandel die Landwirtschaft in den Ländern trifft, aus denen unsere Rohstoffe kommen.

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Langfristig wird der Klimawandel Schokolade also noch teurer machen.

Der Kakaopreis befindet sich auf einem Allzeithoch mit dem Vierfachen des lange üblichen Preises, Lagerbestände sind weltweit aufgebraucht, Ernten bleiben seit mehreren Jahren hinterm globalen Bedarf beziehungsweise Konsum zurück. Der Klimawandel wird alle Agrarrohstoffe deutlich teurer machen, vor allem die Produkte, die aus der Nähe des Äquators kommen. Die Themen Nachhaltigkeit und Kakao sind deswegen eng miteinander verbandelt.

Auch das klingt ziemlich pessimistisch.

Wir müssen zumindest damit umgehen, dass wir die Natur kaputtgemacht haben – und es jetzt wieder korrigieren. Wir bei Ritter Sport machen das so, dass wir mit eigenen Bäumen in Nicaragua dekarbonisieren. Wir haben zwei Windkraftanlagen und einen Solarpark, fahren Elektrotrucks und so weiter. Nachhaltigkeit mitdenken muss zur Routine werden – vom Kakaoanbau bis zur Frage, wer eigentlich die Shirts in unserem Shop zusammengenäht hat. Mir macht das Thema Spaß. Nachhaltigkeit und anständig Geld verdienen, das schließt sich ja nicht aus.

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