Tübingen:
Stand: 29.08.22 13:54 Uhr
Mehrere hundert Kilometer Straße verlaufen innerhalb der Ortsgrenzen von Tübingen. Und jeder einzelne Kilometer muss auf Schäden untersucht werden. Dafür verwendet die Stadt seit kurzem ein neues Programm, das den Zustand der Straßen mithilfe von Künstlicher Intelligenz erfasst und auswertet.
Von Zettelwirtschaft zur KI
Das Smartphone macht alle vier Meter ein Bild von der Straße. So entsteht nach und nach ein Gesamtbild des Verkehrsraums von Tübingen.
Dafür sitzen Mitarbeiter der Fachabteilung Straßen und Verkehr in einem Auto oder auf einem Fahrrad. Sie fahren die Verkehrswege der Stadt ab, um den Zustand der Straßen zu erfassen.
Bis vor kurzem sah diese Arbeit anders aus: “Früher sind Erfasser rausgegangen, mit Zettel und Stift, und haben sich Schäden angeschaut, haben Flächen dazu abgeschätzt, haben das in einem Plan eingetragen”, erklärt Thorsten Rupp, Leiter des Fachbereichs Tiefbau. “Eine Erfassug, die nicht besonders genau war.”
KI erkennt Schäden: wie neuronale Netze trainiert werden
Heute nutzt die Stadt das Programm der Stuttgarter Firma vialytics. Die Bilddaten des Smartphones werden nach Stuttgart übermittelt. Die KI, welche die Daten auswertet, ist sehr genau und objektiv. Dahinter stecken neuronale Netze, die die Schäden auf den Bildern automatisch erkennen.
“Sie können sich das vorstellen wie bei einem Lernvorgang bei Kindern, die eine Sprache lernen”, erläutert Danilo Jovicic-Albrecht, Geschäftsführer von vialytics. “Da sagt man häufig: ‘Was ist dieses Objekt? Das ist ein Hund.’ Dann übt das Kind den Begriff Hund. Irgendwann kann es auch zwischen Hund und Katze differenzieren.”
Und genauso werden neuronale Netze trainiert: “Man zeigt ihnen ganz oft: das ist ein Riss, das ist ein anderer Riss, das sind Risshäufungen. Und irgendwann kann das neuronale Netz selber differenzieren zwischen Einzelrissen und Risshäufungen.”
Die KI kann noch mehr: Die aufgenommenen Kennzeichen und Gesichter werden sofort unkenntlich gemacht – aus Gründen des Datenschutzes.
KI verteilt Zustandsnoten: schlechte Straßen werden zuerst saniert
Die KI unterteilt die Schäden der Straße dann in die Stufen 1 bis 5. Eins bedeutet: ein sehr guter Zustand, fünf heißt: dringend erneuerungsbedürftig.
“Durch die unterschiedlichen Zustandsnoten sehen wir den Handlungsbedarf”, erklärt Rupp. Die Maßnahmen werden dann auf verschiedene Jahre verteilt: “Wir werden anfangen mit den höchsten Prioritäten, also mit der Zustandsnote 5, dass wir davon möglichst viel auf einmal abarbeiten und uns immer weiter rantasten. Quasi schlechte Straßen zeitnah sanieren, sofern die Haushaltsmittel dafür ausreichend sind.”
Die Belastungen für den Verkehr und die Bürger seien dann etwas höher, aber zeitlich begrenzt, erklärt Rupp. So würden sich nicht mehrere Maßnahmen über verschiedene Jahre verteilen.
Doch auch, wenn das Smartphone und die KI nun einen Teil der Arbeit übernehmen, müssen die Mitarbeiter weiterhin aufmerksam sein. Der Fahrer hat einen Knopf am Lenkrad. Wenn er Schäden sieht, die eine Gefahr darstellen, kann er den Knopf drücken. Dann werden diese Daten an den Bauhof geschickt, damit die Stelle umgehend abgesichert oder beseitigt werden kann.
Über 200 Kommunen setzen auf das Programm
Das Programm wird bereits in jeder zehnten Stadt in Baden-Württemberg eingesetzt. Und in ganz Deutschland verwenden es über 200 Kommunen.
Doch vialytics wird europaweit nachgefragt: immerhin ist sie Vorreiter dieser Technologie, wie Geschäftsführer Jovicic-Albrecht aufzeigt: “Wir haben vor 5 Jahren angefangen, das neuronale Netz zu trainieren, das Schäden auf der Straßenoberfläche automatisch erkennt. Damals haben wir geschaut, wer macht das noch – und haben entdeckt, dass es ein paar Forschungsgruppen gibt, zum Beispiel in Japan und in den USA. Aber keine dieser Forschungsgruppen hat daraus ein Produkt entwickelt bis zum Ende, das auch für alle Schadenskategorien, die wir auf der Straße finden können, funktioniert.”
Bis Ende November sollen alle Straßen in der Stadt erfasst sein. Ziel sei es, so Thorsten Rupp, die Verkehrssicherheit und auch den Wert der Stadt zu erhalten.
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