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Als “Drachenlord” machte Rainer Winkler aus dem mittelfränkischen Altschauerberg (Kreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim) internationale Schlagzeilen. Der YouTuber wurde zum Opfer von Hass im Netz – aber er verdiente damit auch seinen Lebensunterhalt.
“Ein wohliger Schauder” – solch eine Formulierung könnte in einem altmodischen Liebesroman stehen, ist aber ein Phänomen, das auch mit Hass und Verunglimpfungen im Netz verbunden sein kann. Der Kulturwissenschaftler und Medienpädagoge Christian Gürtler hatte in der Reihe “Medienwelten” interessante Thesen in die Stadt- und Schulbücherei Gunzenhausen mitgebracht. Etwa: Das Verbreiten und Konsumieren von Reality-Sendungen und Trash-Formaten wie “Dschungelcamp” ähnelt dem Verfassen und Mitlesen von Hass-Posts – und befeuert Empfindungen wie Schadenfreude und Fremdschämen.
Schämen beim “Bachelor” und bei der Fußball-WM
Wenn sich jemand beim “Bachelor” oder bei “Bauer sucht Frau” blamiert, dann schämt man sich mit für dessen Ungeschicklichkeit, man schämt sich aber auch dafür, diese Sendung anzuschauen. Christian Gürtler bringt hier den englischen Begriff “guilty pleasure” ins Spiel und beschreibt damit Beschäftigungen, die einem Freude bereiten und von denen man nicht lassen kann, aber die man als sozial unerwünscht oder als kindisch empfindet – und deshalb möglichst geheimhält. Ein Gefühl, das viele auch beim Verfolgen der WM-Fußballspiele in Katar hatten.
Eine Rolle bei den Hass-Posts spielt auch der Wunsch nach sozialem Vergleich: Man schaut gerne auf zu Personen auf, aber auch gerne auf andere herab. Im täglichen Miteinander fallen verbale Angriffe auf Einzelne meist weniger drastisch aus als in der Anonymität der digitalen Welt. Gürtler hat hier viel geforscht und wendet ein: “So anonym sind die meisten Posts gar nicht. Wer hinter den Alias-Namen steht, kann oft über die IP-Adresse schnell ermittelt werden.”
Gehasst und geschmäht werde besonders in sozialen Netzwerken und auf YouTube-Kanälen, informierte der Medienpädagoge. Da brauche man nur die Kommentare von Facebook-Auftritten von Nachrichtensendern oder der Presse zu lesen. Besonders viele bösartige Posts gebe es bei Twitter (dort werde aber auch inhaltlich viel diskutiert und gestritten) und bei Telegram. Bei diesem Messenger-Dienst gibt es Gruppenchats und Gruppen-Kanäle mit großen Teilnehmerzahlen, die Reichweite einzelner in solchen Gruppen ist enorm.
Bösartiger Austausch mit Zehntausenden
Für einen der bislang aufsehenerregendsten Fälle von eskalierendem Hass im Netz, den Fall “Drachenlord”, hat sich Gürtler besonders interessiert, und er erläuterte, wie sich aus ungeschickten YouTube-Beiträgen ein bösartiger Austausch mit Zehntausenden von Beteiligten in den sozialen Netzwerken entwickeln konnte. In diesem Fall, der sich im fränkischen Örtchen Alt-Schauerberg zugetragen hat, fanden Chat-Teilnehmer, die sich selbst als “Hater” bezeichnen, die Adresse des “Drachenlords” heraus, und aus virtuellen Tiraden wurden massive Angriffe. Der ganze Ort mit seinen 38 Einwohnern litt unter dem Ansturm der von Hass getriebenen Community, bis zu 800 Menschen versammelten sich, um den “Drachenlord” aus seinem Haus zu vertreiben oder Streit mit ihm zu suchen.
Dass es so weit kam, liegt laut Christian Gürtler auch am “Drachenlord” selbst. Rainer Winkler, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, hat auf einem mittlerweile gesperrten YouTube-Kanal eigentlich harmlose Filmchen gepostet. Diese wurden schmähend kommentiert, man machte sich lustig über den übergewichtigen Mann im Metal-T-Shirt und sein breites Fränkisch.
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Genau dies aber wusste der “Drachenlord” zu nutzen. “Er hat sich eine negative Marke aufgebaut”, sagt Gürtler. Bis zu 4000 Euro monatlich habe der Kanal für ihn abgeworfen. Doch seine zahlreichen Abonnenten hatten sich längst gegen ihn formiert, es gab eine Telegram-Gruppe mit 45.000 Mitgliedern, die sich über den “Drachenlord” lustig machten oder ihn aufs Übelste beschimpften.
Das Mobbing im Netz geht weiter
Der schlug zurück, und so schaukelte sich der Online-Konflikt auf, der Hass aus dem Netz schwappte ins richtige Leben über. Mittlerweile musste der von Hatern verfolgte YouTuber sein Haus verkaufen, es wurde abgerissen – doch das Mobbing im Netz gegen ihn geht weiter.
Der geschilderte Fall ist nur die Spitze eines Trends: Mit YouTube-Kanälen zu peinlichen Pannen und Unfällen, mit Filmen, in denen sich Leute unabsichtlich blamieren, wird ebenso Geld verdient wie mit Accounts, auf denen bösartige Angriffe auf Gruppen oder Einzelpersonen mal als “Witze”, mal als Hetze erscheinen. Die “Währung” ist dabei die Bildschirmzeit, die mit einer gewissen Werbezeit einhergeht.
Für den freien Diskurs in den sozialen Medien haben diffamierende Angriffe direkte Auswirkungen. Christian Gürtler, der derzeit beim Lehrstuhl für Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen im Bereich Medien- und Spielpädagogik promoviert, zitiert eine Studie der gemeinnützigen Organisation “HateAid”: Danach war jede und jeder zweite junge Erwachsene schon von Diffamierung, Nötigung oder einer anderen Form digitaler Gewalt betroffen. Hass-Posts verbreiten sich im Netz, und eine Strafverfolgung läuft vielfach ins Leere.