In jedem Konflikt geht es immer auch darum, eindeutig Stellung zu beziehen. Nicht nach jeder Äußerung von Joe Biden ist indes sofort klar, was der US-Präsident in der jeweiligen Situation will – was also die Position der amerikanischen Regierung ist.
So erklärte Biden kürzlich im Fall von Taiwan und der Frage, was genau Washington bei einer chinesischen Aggression tun würden, dass die USA den Inselstaat militärisch verteidigen würden. Das Weiße Haus relativierte die Bemerkungen gleich darauf: An der US-Politik habe sich nichts geändert.
Auch nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gab es nach Bidens Äußerungen immer mal wieder Interpretationsspielraum, was das genaue Ziel der amerikanischen Politik ist. Zum Beispiel, als er bei seinem Besuch in Warschau von seinem Redemanuskript abwich und zum Ende sagte, nach all den Gräueltaten könne der russische Präsident nicht an der Macht bleiben.
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Das Weiße Haus beeilte sich anschließend, Spekulationen, ob die USA einen „regime change“ in Russland anstrebten, abzuwürgen. Dennoch: Die Aussagen sind gemacht und stehen im Raum.
Der US-Präsident ist eine Schlüsselfigur in der Ukraine-Frage
Nun hat Biden aber einmal schriftlich ausgeführt, worum es der US-Regierung in der Ukraine geht. Am Dienstagabend (Ortszeit) veröffentlichte die „New York Times“ einen Gastbeitrag Bidens. Die Überschrift lautet: „Was Amerika in der Ukraine tun wird – und was nicht“.
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Der US-Präsident ist eine Schlüsselfigur in dem Konflikt. Ohne massive amerikanische Unterstützung hätte die Ukraine den Krieg gegen die russischen Aggressoren wohl längst verloren. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weiß das genau.
Kremlchef Wladimir Putin wiederum sieht in Biden seinen Hauptwidersacher. Insofern dürften Selenskyj und Putin die wichtigsten Adressaten des Textes sein.
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Biden kündigt an, der Ukraine eine Vielzahl modernster Waffen liefern zu wollen. Dazu zählen Raketenwerfer, Stinger-Raketen, Hubschrauber, Panzerabwehrwaffen, Artillerie, Radarsysteme. Die Waffen sind Teil eines Pakets im Wert von 700 Millionen Dollar (652 Millionen Euro).
Raketensysteme mit 80 Kilometern Reichweite
Interessant sind in diesem Zusammenhang vor allem die Raketensysteme. Denn hier zeigt sich, wo die US-Regierung die Grenzen zieht.
Ein hochrangiger Regierungsvertreter in Washington erklärte am Dienstagabend in einer Telefonschalte mit Journalisten, dass die Ukraine das sogenannte Himars-System (Himars steht für High Mobility Artillery Rocket Systems) erhalten soll, das auf Fahrzeugen montiert wird und Raketen mit mehreren hundert Kilometern Reichweite abfeuern kann.
Allerdings soll nur Munition mit einer Reichweite von rund 80 Kilometern geliefert werden. Biden bestätigte am Mittwoch offiziell die Lieferung der Himars-Systeme und von Munition, ohne näher auf die Einschränkungen einzugehen.
In zwei bis drei Wochen sollen die Waffen in der Ukraine sein
Die Raketensysteme sollten in zwei bis drei Wochen in der Ukraine ankommen, hieß es. „Diese Systeme werden von den Ukrainern eingesetzt, um russische Vorstöße auf ukrainisches Gebiet abzuwehren, aber sie werden nicht gegen Russland eingesetzt“, versicherte der Regierungsvertreter.
In dem Meinungsbeitrag des Präsidenten klingt dies so: „Wir wollen keinen Krieg zwischen der Nato und Russland.“ Man werde sich nicht direkt in den Konflikt einmischen, weder durch die Entsendung amerikanischer Truppen noch durch Angriffe auf russische Streitkräfte – „so lang die Vereinigten Staaten oder unsere Verbündeten nicht attackiert werden“.
Die rote Linie: Ein Angriff auf Nato-Partner
Außerdem würden die USA nicht versuchen, Putin zu stürzen. Und: „Wir wollen den Krieg nicht verlängern, nur um Russland Schmerzen zuzufügen“, schreibt Biden. Die rote Linie, bei der ein direktes Eingreifen der USA erfolgen könnte, bleibt ein direkter Angriff auf Nato-Partner.
Als Ziel der Waffenlieferungen definiert Biden nicht den Sieg der Ukraine, sondern deren möglichst starke Position am Verhandlungstisch. Zustimmend bezieht sich der US-Präsident auf eine Aussage Selenskyjs, den er mit dem Satz zitiert, der Krieg könne nur durch Diplomatie beendet werden. Gleich im nächsten Satz Bidens heißt es, in jeder Verhandlung müssten die auf dem Boden geschaffenen Fakten berücksichtigt werden.
Biden nennt ausdrücklich keine Bedingungen für eine Verhandlungslösung, die er als einzige Möglichkeit, den Krieg zu beenden, charakterisiert. Ziel sei aber eine demokratische, unabhängige, souveräne und wohlhabende Ukraine, die über ausreichende Mittel verfügt, Gegner abzuschrecken und sich selbst zu verteidigen. Außerdem versichert der US-Präsident, die Ukraine nicht zu territorialen Konzessionen drängen zu wollen, weder privat noch öffentlich.
An Putin lautet die Botschaft: Jeder weitere Kriegstag wird Russland wegen der amerikanischen Waffenlieferungen teuer zu stehen kommen. An die Adresse Selenskyjs: Die USA stehen weiter fest an der Seite der Ukraine und tun (fast) alles, damit diese den Krieg nicht verliert. Aber am Ende wird es eine Verhandlungslösung geben.