Am Samstag ist tatsächlich James Maddison bei der Darts-WM aufgetaucht, und das offenbarte noch einmal auf eine besondere Art, wie absurd das alles ist, was in diesen Tagen im Londoner Alexandra Palace abläuft. Maddison ist englischer Fußball-Nationalspieler, angestellt bei Leicester City, zugleich ein passionierter Darts-Fan, der seinen Torjubel bereits mit einem symbolischen Pfeilwurf zelebriert hat. Am Samstag hätte für ihn eigentlich ein Spiel in der Premier League angestanden, doch dieses fiel wegen der Corona-Lage bei Gegner Norwich aus. Und nun?
Anstatt einen freien Tag einzulegen, machte sich Maddison mit seinen Mitspielern Harvey Barnes, Hamza Choudhury und Kiernan Dewsbury-Hall auf den Weg ins “Ally Pally”, leerte zur Erheiterung des bierseligen Publikums zwischendurch seinen Pappbecher in einem Zug – und konterkarierte mit seinem Kurztrip alle Hilferufe der Kollegen aus der Fußball- und Dartsszene.
Dort wird momentan auf eine Aussetzung der Wettbewerbe gedrängt, weil das Gesundheitsrisiko schlicht unkalkulierbar erscheint. Der Ablauf der Darts-WM ist an Absurdität ja kaum zu überbieten, die ständigen Feierbilder wirken angesichts der angespannten Pandemie-Situation in England mit täglich mehr als 150 000 Corona-Neuinfektionen wie ein schlechter Witz. Die Professional Darts Corporation (PDC), als Ausrichter der Events mehr Firma als Verband, wird vermutlich froh sein, wenn die WM mit dem für Montagabend vorgesehenen Finale irgendwie ihr Ende findet.
Die Darts-WM in London verläuft reichlich absurd
Denn als nach Weihnachten ein Profi nach dem anderen wegen eines positiven Corona-Tests zurückziehen musste, sah es so aus, als könnte den Verantwortlichen um PDC-Chef Eddie Hearn das prestigeträchtigste Ereignis im Dartskalender um die Ohren fliegen. Vor allem der langjährige Weltranglistenerste Michael van Gerwen übte nach seinem Positivfall, wegen dem er das Turnier beenden musste, heftige Kritik am Veranstalter. Die PDC werde immer vorschieben, dass sie sich an die Regeln der Regierung gehalten habe, wütete van Gerwen, aber sie hätte “mehr” machen können. Die Kontrollen seien “nicht stark genug” gewesen: “Es ist jetzt einfach eine große Corona-Bombe.”
Ähnlich äußerten sich andere Spitzenkräfte, darunter die Schotten Gary Anderson und Peter Wright. Dabei kündigte Wright an, sich in seiner angemieteten Airbnb-Wohnung “einschließen” zu wollen, um jeglichen Kontakt mit der Außenwelt zu vermeiden. Die meisten Kollegen hingegen sind – mitunter aus Kostengründen – im Spielerhotel untergebracht. Am weitesten lehnte sich der generell protzig auftretende Titelverteidiger Gerwyn Price aus dem Fenster, der mit einem Post auf Instagram “die Verschiebung” der WM forderte.
Kurz darauf, als ihm wohl die Folgen seiner Äußerungen bewusst geworden waren, löschte er seinen Beitrag wieder und schwächte einen möglichen Abbruch als “letzte Option” ab. Trotz der miesen Schlagzeilen entschied sich die PDC, keine Stellungnahme zu den Vorwürfen abzugeben und die Empörung auszusitzen. Die Organisation untermauerte lediglich die Ambition, am Turnier weiter festhalten zu wollen und verwies auf die Umsetzung der zweifellos porösen Vorgaben seitens der Regierung. Als Eintrittserlaubnis genügt den Zuschauern bereits ein negativer Schnelltest oder ein Impf- bzw. Genesenenausweis.
Es genügt ein negativer Test, um bei der Darts-WM dabei zu sein
Was hätte die PDC auch sonst zu ihrer Verteidigung vorbringen sollen? Dass die Durchführung der WM auf die aktuell fast restriktionsfreie Weise unverantwortlich ist, wird immer offensichtlicher. Um das zu ändern, wäre die PDC jedoch gezwungen gewesen, einen beträchtlichen Teil des eigenen Erfolgsmodells für diese Auflage über Bord zu werfen.
Denn jede Maßnahme, die der Einschränkung der Virusverbreitung gedient hätte – wie eine Maskenpflicht oder eine Reduzierung der Kapazität – hätte sich nachteilig auf die Atmosphäre ausgewirkt. Und die PDC benötigt nun mal jene Partybilder des mit 3000 Fans vollbesetzten Ally Pally, um das offerierte Rekordpreisgeld in Höhe von mehr als 15 Millionen Pfund zu refinanzieren – egal wie verstörend die Feierei in einer Pandemiehochphase für Außenstehende wirken mag.
Ein noch schlimmeres Szenario als eine stimmungsarme WM wäre aber eine Absage gewesen. Entsprechend beunruhigt dürften die Verantwortlichen um Eddie Hearn angesichts der diversen Positivtests gewesen sein – Hearn hat erst kürzlich von Vater Barry das Sporteventunternehmen Matchroom übernommen, das die vollständigen Anteile an der PDC hält. Tatsächlich hält sich der Schaden für die PDC trotz all der Rüffel sogar einigermaßen in Grenzen.
Lediglich drei Partien konnten nach Weihnachten nicht wie geplant stattfinden, weil neben van Gerwen auch Vincent van der Voort und Dave Chisnall positiv getestet wurden. Die ebenso infizierten Raymond van Barneveld und Danny Noppert waren bereits ausgeschieden, als ihre Tests positiv ausfielen. Zudem konnten die teilweise hochklassigen Begegnungen und beeindruckenden Wurfkombinationen einige Schattenseiten des Turniers überdecken. Darunter war nicht zuletzt das spektakuläre Aus des Titelverteidigers Price gegen Michael Smith im Viertelfinale – sowie die drei perfekten Auftritte von William Borland, Darius Labanauskas und Price: Mit nur neun Darts setzten sie jeweils den Ausgangswert “501” auf “0”.
Eine Gefahr droht der PDC allerdings noch, selbst wenn sie das Event zum Ende schleppen kann: der Beleg, dass die WM zu einem Superspreader-Event für das Virus mutiert ist. Und was ist eigentlich, wenn James Maddison und seine drei Teamkollegen bei Leicester City positiv auf Corona getestet werden?